Auf Entdeckungsreise – Schwetz an der Weichsel oder wie alles begann

Unsere Suche begann mit einem Urlaub in Polen: Stettin, Danzig, Swinemünde – oder Szczecin, Gdańsk, Świnoujście. Auf dem Weg nach Swinemünde besuchen wir Schwetz (polnisch: Świecie), dort steht ein ehemaliges Kaufhaus der Familie Conitzer. Wir schauen uns um.

Wir stehen auf dem Marktplatz von Świecie. Er befindet sich ungefähr 120 km südlich von Danzig und 380 km östlich von Berlin. Bis nach Warschau sind es 240 km. Die Weichsel fließt irgendwo hinter den letzten Häusern der Ostsee entgegen. Unsere Mädchen wirken verloren auf dem großen Platz. Eines macht einen Handstand, das andere schlägt ein Rad. Der Marktplatz ist groß und vor allem sehr leer. Die zwei anderen Mädchen unterhalten sich und bewegen sich zielstrebig auf die Eisdiele zu. Der einzige Ort in der Nähe, in dem sich ein paar Menschen aufhalten. Meine Frau ist nicht mehr zu sehen. Ich schaue mir die Eisdiele an. Ich brauche mein Handy, um die Eissorten zu übersetzen. Eines unserer Mädchen kommt vorbei. „Ich will Stracciatella.“ Eine andere will Erdbeere und die dritte Vanille. Schokolade ist auch noch im Angebot. 

Kaufhaus Rud Conitzer Schwetz a W
Quelle: Wikipedia – Kaufhaus Rud. Conitzer Schwetz an der Weichsel

 

Nach dem Eis schauen wir uns um. Hier an der Ecke stand das Kaufhaus. Zwölf Schaufenster hatte es einmal. Hier standen die Menschen, staunten und fühlten sich ein wenig wie in Paris. So wie der Gerichtsassessor mit seiner Tochter, der gerade um die Ecke kommt. „Schau es dir an, so kleidet man sich in Paris“. „Das Kleid ist so schön“, sagt das Mädchen an der Hand ihres Vaters. Er schaut angestrengt, und rechnet im Kopf alle Möglichkeiten durch, wie er das Geld zusammenbekommen könnte, um ihr den Wunsch zu erfüllen. Ihr Finger zeigt auf das Schaufenster. Ein Wunsch aus einer anderen Zeit. Jetzt ist dort ein Rossmann. Meine Frau ist schon da. Die Augen unserer Mädchen glänzen. Kosmetikprodukte. Ein kleiner Ausbruch aus dem Alltag. Ein Eyeliner und ein zufriedenes Lachen. Im oberen Stock ein Euroladen. Hier gibt es alles, was niemand braucht, aber unschlagbar günstig ist. Dafür geht alles schnell kaputt, ein Segen für jeden Kaufmann. Noch ein Stockwerk höher tropft es aus der Decke. Ein Eimer im Treppenhaus. Das Haus zerfällt langsam, aber sicher in sich zusammen. Es steht hier seit 1878, gebaut hat es Rudolf Conitzer mit dem Zweck, das erste Kaufhaus der Stadt zu eröffnen. 12 Schaufenster, eine Zentralheizung und Licht von oben. Es gab sogar eine Zentralheizung. Es war eine Sehenswürdigkeit. Ein Ereignis für die Familien der Gerichtsassessoren, Amtsräte und Großbauern der Stadt. Heute geht man zu Disneyland, damals reichte ein Kaufhaus.

Wir hatten uns vorbereitet, hatten im Internet die Seite chelmno.info gefunden [1] und waren völlig zufrieden mit uns und dem Ergebnis. Das Bild im Kopf war geformt. Ein kleines Kaufhaus irgendwo in Polen. Es war mal fein, jetzt ist es klein. 

Quelle: chelmno.info, Andreas Prause, Kaufhaus Rud. Conitzer 2009
Quelle: chelmno.info, Andreas Prause, Kaufhaus Rud. Conitzer 2012

Wir hatten uns getäuscht. Hier vor Ort sieht es völlig anders aus. Es ist wirklich groß. Hat leider schon bessere Tage gesehen. Trotzdem ist es nicht schwer, sich den Glanz vorzustellen, als es 1911 „das größte Haus am Platz“ war. Hier in Schwetz oder Świecie vor dem Kaufhaus wird uns klar, wie groß das Geschäft der Familie Conitzer früher wirklich war. 

Kaufhaus Rud. Conitzer in Schwetz, Foto: Valentina Holt

Im Jahr 1878 war Schwetz eine kleine Stadt irgendwo zwischen Berlin und Königsberg. Die Eisenbahn war zwar schon im Bau, führte aber nicht durch Schwetz und auch nicht daran vorbei. Erst 1883 wurde die Nebenstrecke der Königlich Preußische Ostbahn eingeweiht. Es sollte noch bis ins Jahr 1888 dauern bis die Stadt einen eigenen Bahnhof bekam. Rudolf Conitzer erkannte, dass sich die Welt auch hier in Schwetz ändern wird. Er sprang früh genug auf den Zug, der schon in Paris, London und New York losgefahren war und gründete hier sein erstes Kaufhaus. Es sollten noch viele weitere Kaufhäuser unter dem Namen M. Conitzer & Söhne folgen. M. war sein Vater Moses und Söhne, seine Brüder Alexander, Nathan und Hermann. Rudolf wurde der Berater.

Von hier aus kann unsere Suche losgehen, auf den Spuren der Familie Conitzer, die einmal in Deutschland bekannt war – vor dem Dritten Reich. Auf jeden Fall war Rudolf Conitzer damals ein bekannter Bürger in Schwetz. Heute kennt keiner mehr den Konzern M. Conitzer & Söhne. Wir wünschen uns, dass wieder an die Erfolge und den Beitrag der Familie Conitzer erinnert wird.

Quellen:

  1. Chelmno.info, Kaufhaus Conitzer in Schwetz an der Weichsel (Świecie nad Wisłą),  Andreas Prause, 03.01.2021, link: https://chelmno.info/kaufhaus-conitzer-in-schwetz-an-der-weichsel-swiecie-nad-wisla/
  2. Wikipedia, M. Conitzer & Söhne, link: https://de.wikipedia.org/wiki/M._Conitzer_%2526_S%C3%B6hne

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